So, bin ich der Erste hier?
Im Staffelberg war ich´s nicht
Am 09.12.1965 landete ich auf der Beobachtungsstation des Erziehungsheimes Staffelberg in Biedenkopf und die ersten Stunden und Tage habe ich auch heute noch gut im Gedächtnis, wie meine Stammrollennummer beweist.
Das lag natürlich daran, dass ich mich nicht sehr wohl fühlte in "Flatterklamotten" und mit "Futtkopp".
Sorry, aber so wurde damals der Haarschnitt mit Haaransatz oberhalb der Ohren genannt.
Die Flatterklamotten waren ebenso ehrenrührig für 15jährige in 65.
Grobe Cordhosen mit Hochwasser, dafür waren die Beine extra breit geschnitten.
Der Haarschnitt und die entstellenden Klamotten sollten uns daran hindern, die "Flatter" zu machen,
auf Amtsdeutsch: zu entweichen, bürgerlich: abzuhauen.
Denn Staffelberg war ein hypermodernes Vorzeigeerziehungsheim fast ohne Mauern und Gitter, dafür aber am Rand der Welt gelegen. In einer Zeit, in der die Leute noch mit offeneren Augen durch die Gegend rannten als heute, war es für Halbwüchsige in so einem Outfit nahezu unmöglich, auch nur die nächste Bundesstrasse zu erreichen.
Ich hab dann 68/69 auch noch den Anfang vom Ende Staffelbergs (und imho aller Erziehungsheime im Westen) erlebt und ein wenig selbst daran teilgehabt.
Wir hatten Besuch von Baader, Meinhof, Proll,... der damaligen Brandstifterkommune aus der Grafenstrasse in Frankfurt, die mehrmals mit ein oder zweihundert Freunden in einem langen Autokorso mit vielen roten Fahnen durch die Dexbacher Strasse bis ins Heim fuhren und auf der Wiese zwischen Werkstätten und Verwaltungsgebäude mit den "vom Kapital geknechteten" Zöglingen
ein Sit in und ein "Tribunal" veranstalteten zudem sich die Heimleitung auch brav vorführen liess.
Eigentlich schade, dass diese kuriose Zeit noch nicht von einem Film oder Tonkünstler aufgearbeitet wurde, wir hatten die Axt an die Wurzeln des "1000jährigen Muffs" gelegt. Nicht nur in den Städten auf den grossen Plätzen, auch im kleinen Biedenkopf spürte man den "Mantel der Geschichte"
Diese Bundesrepublik gab es fünf Jahre später so nicht mehr, genauso wenig wie Erziehungsheime.
30.06.1969:
In Biedenkopf steht, laut SDS Frankfurt, als Erfolg der Aktion (vgl.
28.6.1969) in der Landeserziehungsanstalt Staffelberg folgendes fest:"
1. Der Karzer wird aufgelöst
2. Vier Erzieher kündigen
3. Die Haare dürfen wachsen
4. Innerhalb des Heims bildet sich eine Basisgruppe
Als die Frankfurter Genossen nach diesen Zusagen abfuhren, schlossen
sich spontan 26 Heiminsassen an. Sie stimmten 'mit den Füßen' über die
Heimverfassung ab - sie türmten einfach" (vgl. 5.7.1969)....
aus mao-projekt.de/BRD/HES/DA/Frankfurt_Staffelbergaktion.shtml
siehe auch: de.wikipedia.org/wiki/Heimkampagne
Mein persönliches Fazit dazu: Ich hatte schon mit dem Aufkommen von antiautoritären Kinderläden den Eindruck: auch Gesellschaften neigen dazu "es manchmal zu übertreiben"
Das Spiessertum, der Muff, das gegenseitige "Im Auge haben" (und mit Normen vergleichen), die Ängste der 50er 60er Jahre waren überfällig.
Dass daraus eine Gesellschaft geworden ist, in der Fuenfjährige im Schlafanzug unbeachtet von Biedenkopf aus zu einer Weltreise aufbrechen könnten, bedaure ich lebhaft; von vielen anderen Dingen, die heute unbeachtet bleiben schweige ich hier lieber.
cu ganneff
Im Staffelberg war ich´s nicht

Am 09.12.1965 landete ich auf der Beobachtungsstation des Erziehungsheimes Staffelberg in Biedenkopf und die ersten Stunden und Tage habe ich auch heute noch gut im Gedächtnis, wie meine Stammrollennummer beweist.
Das lag natürlich daran, dass ich mich nicht sehr wohl fühlte in "Flatterklamotten" und mit "Futtkopp".
Sorry, aber so wurde damals der Haarschnitt mit Haaransatz oberhalb der Ohren genannt.
Die Flatterklamotten waren ebenso ehrenrührig für 15jährige in 65.
Grobe Cordhosen mit Hochwasser, dafür waren die Beine extra breit geschnitten.
Der Haarschnitt und die entstellenden Klamotten sollten uns daran hindern, die "Flatter" zu machen,
auf Amtsdeutsch: zu entweichen, bürgerlich: abzuhauen.
Denn Staffelberg war ein hypermodernes Vorzeigeerziehungsheim fast ohne Mauern und Gitter, dafür aber am Rand der Welt gelegen. In einer Zeit, in der die Leute noch mit offeneren Augen durch die Gegend rannten als heute, war es für Halbwüchsige in so einem Outfit nahezu unmöglich, auch nur die nächste Bundesstrasse zu erreichen.
Ich hab dann 68/69 auch noch den Anfang vom Ende Staffelbergs (und imho aller Erziehungsheime im Westen) erlebt und ein wenig selbst daran teilgehabt.
Wir hatten Besuch von Baader, Meinhof, Proll,... der damaligen Brandstifterkommune aus der Grafenstrasse in Frankfurt, die mehrmals mit ein oder zweihundert Freunden in einem langen Autokorso mit vielen roten Fahnen durch die Dexbacher Strasse bis ins Heim fuhren und auf der Wiese zwischen Werkstätten und Verwaltungsgebäude mit den "vom Kapital geknechteten" Zöglingen
ein Sit in und ein "Tribunal" veranstalteten zudem sich die Heimleitung auch brav vorführen liess.
Eigentlich schade, dass diese kuriose Zeit noch nicht von einem Film oder Tonkünstler aufgearbeitet wurde, wir hatten die Axt an die Wurzeln des "1000jährigen Muffs" gelegt. Nicht nur in den Städten auf den grossen Plätzen, auch im kleinen Biedenkopf spürte man den "Mantel der Geschichte"
Diese Bundesrepublik gab es fünf Jahre später so nicht mehr, genauso wenig wie Erziehungsheime.
30.06.1969:
In Biedenkopf steht, laut SDS Frankfurt, als Erfolg der Aktion (vgl.
28.6.1969) in der Landeserziehungsanstalt Staffelberg folgendes fest:"
1. Der Karzer wird aufgelöst
2. Vier Erzieher kündigen
3. Die Haare dürfen wachsen
4. Innerhalb des Heims bildet sich eine Basisgruppe
Als die Frankfurter Genossen nach diesen Zusagen abfuhren, schlossen
sich spontan 26 Heiminsassen an. Sie stimmten 'mit den Füßen' über die
Heimverfassung ab - sie türmten einfach" (vgl. 5.7.1969)....
aus mao-projekt.de/BRD/HES/DA/Frankfurt_Staffelbergaktion.shtml
siehe auch: de.wikipedia.org/wiki/Heimkampagne
Mein persönliches Fazit dazu: Ich hatte schon mit dem Aufkommen von antiautoritären Kinderläden den Eindruck: auch Gesellschaften neigen dazu "es manchmal zu übertreiben"
Das Spiessertum, der Muff, das gegenseitige "Im Auge haben" (und mit Normen vergleichen), die Ängste der 50er 60er Jahre waren überfällig.
Dass daraus eine Gesellschaft geworden ist, in der Fuenfjährige im Schlafanzug unbeachtet von Biedenkopf aus zu einer Weltreise aufbrechen könnten, bedaure ich lebhaft; von vielen anderen Dingen, die heute unbeachtet bleiben schweige ich hier lieber.
cu ganneff